NUR TATEN SIND NICHT MEHR ZU TILGEN
( Friedrich Schiller )
Am 8. Juli 1969 beging Herr Dr. Adolf Mueller-Welt seinen 65.
Geburtstag. Mit diesem Ereignis wird gleichzeitig deutlich,
dass die Contactlinse, obgleich noch verhaeltnismaessig jung,
eben doch in die Jahre kommt. Gerade an solchen Tagen wird einem
bewusst, dass ohne die Leistung, das Koennen, die Ausdauer und
konsequente Haltung eines Pioniers wie Dr. Adolf Mueller-Welt, die
Contactlinse nicht zu ihrer heutigen Beddeutung gelangt waere.
Seit ueber 40 Jahren widmet sich der Jubilar der Contactlinse, die er als
sein Lebenswerk betrachtet. Schon lange, bevor die Contactlinse
Allgemeingut geworden war, stellte er diese her und passte sie
persoenlich an. Oft belaechelt und kritisiert, hing er zaeh an
seinen Ideen und verwirklichte in muehsamer Kleinarbeit seine
Gedankengaenge.
Keine Zulieferindustrie, keine Lehrbuecher,
keine Schulen gaben ihm Grundlagen in die Hand; kein Fachpersonal war
auf dem Arberbeitsmarkt greifbar. Alles musste aus eigener Kraft
unter oft schwierigen Verhaeltnissen - wie in der Kriegs- und
Nachkriegs-zeit - geschaffen werden.
Ueber dieHerstellung von
kuenstlichen Augen kam er auf die Idee der Scleral-Schalen und passte
bereits in den zwanziger Jahren die erste Linse dieses Typs an.
Mit namhaften Augenaerzten bestand schon vor dem 2. Weltkrieg
eine hervorragende Zusammenarbeit. Erfolgreich wurden damals
speziell Keratoconus-Faelle korrigiert. Vor dem Ende des letzten
Krieges waren MUELLER-WELT-Scleralschalen aus Silikat-Glas bereits zu
einem Begriff geworden, ehe die Corneal-Linse aus Kunstoff aufkam.
Die Entwicklung laesst sich am besten in Stichworten
kennzeichnen, denn sie ist weitgehendst mit dem Lebenslauf des
Jubilars identisch.
Geboren in Wiesbaden, uebersiedelte er mit
seinen aus Thueringen stammenden Eltern im Jahre 1920 nach Stuttgart,
wo diese ein Institut fuer kuenstliche Augen gruendeten.
1924 : Eigene Blasversuche aus Kunstaugen- und
Kristallglas. 1925: Geblasene
Schalen aus Schott'schen Glasroehren. 1927:
Formgebung durch Gips- und Marmor-matrizen - 2-Radien-System.
1928: Erkenntnis der Abweichungen vom urspruenglichen "Bulbusschalen-Auge"
und damit Abaenderung der "Augapfelform" in natuerliche Formen
- Auswertung photographischer Grundrisse -
Erkenntnisse von Asymmetrie, Hornhautdurchmesser und Scheitelhoehe.
1929: Optische Gestaltung der Innerkurven -
Erkenntnisse der Messungen und Beginn der Schleifarbeiten am Uebergang
zwischen scleralem und cornealem Teil (Arbeiten mit den Professoren
Heine, Sattler, Siegrist). 1930:
Erste Uebertragung der nunmehr konstruktiv bestehenden Form in
Metallnegative zum Einblasen fuer Glas.
1931: Erweiterung durch asymetrische
Gestaltung des Scleralteiles. 1932: Erteilung
des 1930 angemeldeten Patentes. 1933:
Entspannungsprozess mit dem Ziel, Glas vor nachtraeglichen Spruengen
zu bewahren (Reisen zu Professor Heine nach Kiel). 1934:
Daraus gewonnene Erkenntnis erlaubt Schleifen des Schalenrandes auf
bestimmte Durchmesser - Rand wird nachgeschmolzen und wieder entspannt
- Reisen zwecks Vertriebsaufbau.
1935: Erweiterung auf Nachschleifen der Innenkurven.
1936: Erste machinelle
Innenflaechen-Schleifmaschine. 1937:
Erste maschinelle Aussenflaechen-Schleifmaschine.
1938: Durch eigene Anpassungen erweitern sich
die Erfahrungen und zeigen sich Unvollkommenheiten.
Gleichzeitig Verbesserung der Aussenschleifarbeiten.
1939: Durchfuehrung der ersten Dickenkontrollen.
1940: Automatische Entspannungsoefen mit Transportband,
Heizungskontrollen und elektrischen Regulierungen (Reisen
nach Nord-, Mittel- und Ostdeutschland).
1941: Anschaffung von Hornhautmikroskop mit Spaltlampe -
Erste Erfahrung von Hornhautlaesionen und -Oedemen,
Fluoreszein-Beobachtungen. 1942:
Schaffung von Lagersaetzen mit 2-3000 Stueck - Staendige Reisen in
alle Teile Dautschlands. 1943:
Erweiterung der Reisetaetigkeit auf Wien und Prag.
1944: Einstellung der Reisen durch Kriegsereignisse.
Versuche der Randbearbeitung mit Diamantschneidevorrichtungen -
Schwierigkeiten mit Glas und Gas durch Ausfall der Produktion infolge
der Luftangriffe auf Stuttgart. Hilfsmittel: Karbid, Holzgas, Kohlgas
- Fliegerschaeden erfodern Reparaturarbeiten, tatkraeftige Hilfe durch
"Fremdarbeiter". 1945: Haus
Sonnenbergstrasse 23 bei Einmarsch franzoesischer Truppen noch
erhalten - Wiederaufnahme der Produktion am 15.5.1945! - Zugang der
Herren Hoffmannbeck und Weinschenk - Franzoesische und U.S. Soldaten
lassen sich in grosser Zahl mit Schalen versorgen.
1946: Eintritt der Herren Bordt, Soehnges, Polte -
Betriebserweiterung auf ca. 60 Personen
1947:
Betrieb auf Hochtouren - Ansturm von Fehlsichtigen aus allen Teilen Deutschlands
unter unguenstigsten Bedingungen - Nachfrage infolge Fehlens von Brillenglaesern
- Vertrieb von 17 000 Schalen - Planung fester Institute in Muenchen, Frankfurt
und Hamburg. 1948:
Am 2. Januar Beginn der Arbeit im Hause Fangelsbachstrasse 5
nach Trennung von der Abteilung "Kuenstliche Augen", die der Bruder nunmehr
selbstaendig weiterfuehrt - Totaler Rueckschlag durch zwei einschneidende
Ereignisse: 1. Waehrungsreform. 2. Plastik loest Glas
ab. Wiederbeginn mit Einblasen, Spritzen und Pressen - Aufnahme der
Verbindung mit U.S.A. 1949:
Uebersiedlung nach Kanada und bald darauf U.S.A. - Kontakte mit
U.S.-Optometristen und Universitaeten - Erste Versuche mit Corneallinsen - nach
Blasverfahren bald Notwendigkeit der Spritztechnik erkannt - Start in Toronto,
spaeter Detroit und Stuttgart unter primitiven Bedingungen, da keinerlei
Erfahrungen bzw. technische Voraussetzungen fuer Kunststoffe gegeben -
Institutseroeffnung in Hannover und Duesseldorf.
1950: Mathematische Berechnungen durch Ingenieur Vetter und
anpasstechnische Erfahrungen fuehren zur Konstruktion der Scleral-Schale (Typ
S), die noch heute Grundlage der Sclerallinsen-Anpassung ist.
Instituteroeffnung in Stuttgart, Koenigstrasse - Umzug in den Jahren 1954, 1957
und 1959 jeweils in groessere Raeume. 1951:
Erste Corneallinsen, die im Pressverfahren gewonnnen werden, erfolgreich
angepasst. 1952: Erweiterung der
Scleral-Schale (Typ S) auf sehr steile und sehr flache Scleralteile - Erste
zweikurvige Corneallinse Typ CS. 1953:
Scleral-Schalen fuer Keratokonus-Bereich (Typ S) und medizinische Schalen fuer
klinische Zwecke - Stuttgarter Institut wird Ausbildungszentrum -
Reisesprechstunden in vielen Staedten West und Sueddeutschlands - Uebernahme des
Instituts Duesseldorf in eigene Regie; Umzug in groessere Raeume
1961. 1954: Neue zweikurvige Corneallinse
CX, die flach angepasst wird, ist nur bedingt
erfolgreich. 1955:
Fluoreszein-Beobachtungen mit Wood'scher Lampe erfordern Umdenken in
Corneallinsen-Anpassung. 1956: Zweikurvige
Corneallinse Typ CN fuehrt zur Abkehr von der Flachanpassung - 1.
Betriebstagung, d.h. erste Zusammenkunft von Contactlinsen-Spezialisten
ueberhaupt. 1957: Einfuehrung von
Reinigungs- und Benetzungsmitteln in Deutschland - Erstmals Anwendung von
Trypanblau. 1958: UV-Lampen-Beobachtungen
(Fluoreszeinbilder) lassen erkennen, dass die typisierte Contactlinse allein
nicht immer ausreichend ist - Werkstatteinrichtung wird fuer die Spezialisten
geschaffen, die zur individuellen Bearbeitung uebergehen - Mitbegruendung der
VDC. 1959: Polatestgeraet
im Institut Stuttgart - Neues betriebseigenes Institut Hamburg
- Beginn der Fachvortraege auf Kongressen - Schaffung des Typs
CM. 1960: Rueckkehr von Dr. Adolf
Mueller-Welt aus U.S.A. 1961: Erste Versuche,
Contactlinsen im Drehverfahren zu produzieren.
1962: Erweiterung auf Color-Contact-Linsen.
1963: Erstmals mehrkurvige Contact-Linsen mit Erfolg
angepasst. 1964: Schleif- und
Poliervorgaenge werden vom Handbetrieb auf maschinelle Bearbeitung umgestellt -
Unterstuetzung von ZVA und VDC durch Mitarbeit in Fuehrungsgremien, Fachschulen
und bei Kursen. 1965: Dreikurvige
Contact-Linse Typ CNM wird ein grosser Wurf.
1966: Sphaero-torische Contact-Linse Typ ZAZ ermoeglicht Korrektion
von hoeherem Astigmatismus - Eroeffnung eines betriebseigenen Instituts in Muenchen - Anschaffung von Phoroptern zur exakten
Refraktionsbestimmung - Initiator
des "Arbeitskreises Deutscher Contact-Linsen-Hersteller". 1967: 5. Betriebs- tagung mit Internationaler
Beteiligung in Stuttgart - Erste Multifocal- und Bifocal-Contact-Linse - Verbesserung des
Typs CNM im Keratoconusbereich - Schwere Erkrankung des
Jubilar (Herzinfarkt). 1968: Erstmals duenne Mini-Linsen mit
Erfolg angepasst. 1969: Versuche und erste Erfolge mit aussen- und innentorischen Linsen.
Bis heute arbeitet der Jubilar tatkraeftig an der weiteren
Entwicklung mit. Insbesondere wird die Scheiteltiefe in Zukunft eine
bedeutende Rolle spielen und es werden die Auswirkungen von neuen Materialien zu
beobachten sein. Die Entwicklung der Contact-Linse ist bis zum
heutigen Tag noch keinesfalls beendet. Es darf aber, wenn spaeter einmal
die Geschichte der Contactlinse geschrieben wird, an den Verdiensten des
Jubilars, der 1950 den "Doctor of Ocular Science" verliehen
bekam, nicht vorbeigegangen werden. Moege er, tatkraeftig unterstuetzt von
langjaehrigen Mitarbeitern, noch lange recht erfolgreich taetig sein.
Gewidmet zum 8. 7. 1969 von
Rolf Weinschenk, Stuttgart
bcaffrey2@comcast.net